Monitoring 2023

Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt in Schleswig-Holstein weiter gestiegen

Beratungsstelle ZEBRA stellt Ergebnisse des
landesweiten Monitoring für 2023 vor

In dem seit 2017 jährlich durchgeführten Monitoring registriert die Beratungsstelle ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe erneut eine gestiegene Anzahl rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten in Schleswig-Holstein.

Mehr als jeden dritten Tag wurden Menschen im vergangenen Jahr aus rassistischen, antisemitischen oder rechten Motiven angegriffen. ZEBRA erfasste 2023 in ihrem unabhängigen Monitoring 136 Vorfälle mit 187 Betroffenen. Im Vorjahr waren 104 Vorfälle registriert worden. Weiterhin sind unter den Betroffenen auch viele Kinder und Jugendliche (2023: 39; 2022: 22).

Massive Folgen für Betroffene – Regionaler Schwerpunkt im Kreis Pinneberg – Rassistische Gewalt in SH auf Höchststand

Tatmotive 2023

Menschen, die aus rassistischen Motiven angegriffen wurden, bildeten auch 2023 die mit Abstand größte Betroffenengruppe. Im Vergleich zu den Vorjahren war hier ein merklicher Anstieg zu verzeichnen.

Während Gewalttaten auf politische Gegner*innen zurückgingen, nahmen zudem die Gewalttaten aus antisemitischen Motiven und gegen LGBTQIA* leicht zu. 

 „Die Zahlen des ZEBRA-Monitorings sind ebenso erschreckend wie wichtig. Rechte Gewalt darf in Schleswig-Holstein nicht zum Alltag gehören, sie tut es aber derzeit. Grade auch in haushaltspolitisch schwierigen Zeiten muss das Ziel klar sein: Wir müssen Betroffene unterstützten und das Dunkelfeld weiter ausleuchten.“

Niclas Dürbrook, Landtagsabgeordneter (SPD) 

 Massive Folgen für Betroffene

Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe sind weiterhin von einer hohen körperlichen Gewalt geprägt. Zwar hat sich vor allem die Zahl der Nötigungen und Bedrohungen zwischen 2022 und 2023 mehr als verdoppelt, jedoch auch die Zahl der Körperverletzungsdelikte stieg an. Eine Erklärung für die gestiegene Anzahl an Bedrohungen könnte in der Gesetzesverschärfung des § 241 StGB im April 2021 liegen, deren Effekt zeitverzögert eintrat. Die nun gestiegene Anzahl umfasst in vielen Fällen Bedrohungen, die vor der Gesetzesänderung noch nicht den Straftatbestand erfüllten. 

Aber auch vermeintlich harmlosere Bedrohungen können massive Folgen für die Betroffenen haben. Dies zeigt ein Beispiel aus dem vergangenen Jahr. Eine Familie wurde im Zug auf der Suche nach einem Sitzplatz von einem weiteren Fahrgast angegangen. Neben rassistischen Beleidigungen baute sich der Angreifer bedrohlich vor dem Vater auf, der sich schützend vor seine Kinder gestellt hatte, und spuckte diesem ins Gesicht. Die Familie musste das Abteil verlassen, um sich einer möglichen körperlichen Auseinandersetzung zu entziehen. Seit dem Angriff leidet die Betroffene, eine zweifache Mutter mit Fluchthintergrund, unter starken Angstzuständen, die sie in der Bewältigung ihres Alltags merklich beeinträchtigen. Die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel löst bei ihr zum Beispiel akute Atembeschwerden aus, weshalb sie diese Situationen vermeidet. Ihre Angst in engen Räumen mit vielen Menschen habe dazu geführt, dass sie ihren Deutschkurs abbrechen musste. Hinzu kommen weitere körperliche Beeinträchtigungen, die einen psychosomatischen Hintergrund zu haben scheinen.

Tatbestände 2023

ENTWICKLUNG BEDROHUNG UND KÖRPERVERLETZUNG 2020–2023

„Einerseits sind immer noch mehr als die Hälfte der von uns registrierten Vorfälle Körperverletzungsdelikte, andererseits dürfen auch die Folgen rassistischer, antisemitischer und anderer rechter Bedrohungen nicht unterschätzt werden. Die Betroffenen sind häufig massiv und langfristig in ihrem Sicherheitsempfinden eingeschränkt. Zudem richten sich rechte Angriffe auch an die Communities der Betroffenen, denen damit signalisiert werden soll, dass es auch sie treffen könnte.“ 

Felix Fischer, Berater bei ZEBRA 

Regionaler Schwerpunkt im Kreis Pinneberg

LANDKREISE 2023

Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt zeigt sich darüber hinaus nach wie vor als Problem, das in allen Teilen des Bundeslandes auftritt.

2023 gab es keinen Kreis ohne rechte Gewalttat. Die meisten Angriffe registrierte ZEBRA dabei in den Städten Kiel, Flensburg und Lübeck sowie im Kreis Pinneberg.

TATMOTIVE IN DEN LANDKREISEN 2023

Auffällig ist dabei besonders die Entwicklung im Kreis Pinneberg. Dort stiegen die Angriffe in den letzten Jahren kontinuierlich an (2021: 5; 2022: 14; 2023: 22).

Während sich die Angriffe 2022 noch über den gesamten Landkreis verteilten, ist im vergangenen Jahr ein klarer Schwerpunkt zu beobachten. Die Hälfte der Vorfälle fand in Elmshorn oder direkt angrenzenden Orten statt.

Diese Häufung deutet darauf hin, dass regionale Spezifika die Handlungsräume extrem rechter Akteur*innen erweitern und es somit zu einem Anstieg von Gewalttaten kommt. Ähnliche Entwicklungen konnte ZEBRA bereits 2019 im Kreis Segeberg und 2022 in Flensburg beobachten. 

Rassistische Gewalt in SH auf Höchststand

Landesweit sind mittlerweile über 2/3 der Angriffe im Monitoring von ZEBRA rassistisch motiviert. Von den 95 rassistischen Vorfällen waren 129 Personen, darunter 33 Kinder und Jugendliche betroffen. Betroffene von rassistischen Angriffen berichten ZEBRA wiederholt, dass sie bereits zuvor im Alltag immer wieder rassistische Diskriminierung erfahren haben. Dies führt zu einem Gefühl von Ausgrenzung und fehlender gesellschaftlicher Akzeptanz, was durch die Angriffserfahrung weiter verstärkt wird. Zudem können die konkreten Angriffsfolgen, wie ein eingeschränktes Sicherheitsgefühl, schwerwiegender sein, da vor dem Hintergrund der eigenen Erfahrungen von weiteren Angriffen ausgegangen wird.

Zusätzlich wird die Verarbeitung der Angriffsfolgen für marginalisierte Personen durch strukturelle Hürden zu Unterstützungsmöglichkeiten erschwert. Hier fehlt es beispielsweise an niedrigschwelliger Sprachmittlung bei Ärzt*innenbesuchen und Rechtsanwält*innen, Zugang zu Therapieangeboten oder ausreichend qualifiziertes Personal für die Unterstützung bei anderen lebensweltlichen Problemen. Die dadurch zeitverzögerte Verarbeitung der Angriffsfolgen hemmt die Möglichkeit sozialer Teilhabe, was wiederum die Bewältigung des Erlebten erschwert. Ein Teufelskreis, der die Betroffenen langfristig begleitet. 

ENTWICKLUNG RASSISTISCHE ANGRIFFE
2020–2023

„Viele Schleswig-Holsteiner*innen erleben in ihrem Alltag Rassismus und Antisemitismus. Die Ergebnisse des Monitorings für 2023 sind erschütternd. Besonders der starke Anstieg an antisemitischen und rassistischen Gewalttaten und die zunehmende Gewalt gegen queere Personen sollten uns zu denken geben. Diese Ergebnisse zeigen deutlich, dass wir unseren Fokus weiterhin auf Präventionsmaßnahmen setzen müssen, aber gleichzeitig niedrigschwellige Hilfsangebote für Betroffene ausbauen müssen. Gemeinsam müssen wir Antisemitismus, Rassismus und Rechtsextremismus in unserer Gesellschaft bekämpfen, das ist unsere demokratische Pflicht!“

Jan Kürschner, Landtagsabgeordneter (Bündnis 90/ Die Grünen) 

Das Monitoring für Schleswig-Holstein basiert auf den Kriterien des VBRG – Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Demnach liegen den Zahlen direkte Kontakte mit den Betroffenen oder aber externe vertrauenswürdige Quellen zugrunde. Trotz dieser Vorgehensweise ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen, weshalb es weiterer Anstrengungen bedarf, dieses bestmöglich zu erhellen und Betroffene zu unterstützen.

Seit Beginn des Jahres 2017 wird von ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe ein systematisches und unabhängiges Monitoring durchgeführt.

Die daraus resultierende Statistik beinhaltet Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, sowie massive Sachbeschädigungen, denen eine politisch rechte, rassistische oder antisemitische Motivation zugrunde liegt.

Die Statistik von ZEBRA wird mit den Daten des Landeskriminalamtes abgeglichen. Erfahrungsgemäß könnte es in den kommenden Monaten noch zu Nachmeldungen von Taten kommen, die im Jahr 2022 begangen wurde.

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministeriums für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor*in bzw. tragen die Autor*innen die Verantwortung.