Aktuelles 2

21.12.2023
Pressemitteilung ZEBRA e.V.

Urteilsverkündung zur rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg

Nach über drei Jahren kam es heute zur Urteilsverkündung im Fall der rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg. Am 17. Oktober 2020 fuhr ein 19-Jähriger, der zum damaligen Zeitpunkt Mitglied in der AfD war, am Rande einer Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD mit einem Pick-Up in Antifaschist*innen und verletzte vier von ihnen teilweise schwer. Von einer Parkbucht aus steuerte Melvin S. das schwere Gefährt auf den Bürgersteig und fuhr gezielt in die Demonstrierenden. Der Angriff wurde von der Polizei in einer ersten Pressemitteilung noch als Verkehrsunfall verharmlost. Nachdem sich Betroffene öffentlich zu Wort gemeldet hatten, wurden die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung geführt. Seit Juli wurde der Fall vor dem Landgericht Kiel wegen versuchtem Totschlag verhandelt.

Heute wurde der Angeklagte Melvin S. wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Zudem muss er Schmerzensgeld an alle Betroffenen zahlen.

In der Urteilsbegründung erklärte das Gericht, dass die Tat „kein rechter Angriff aus Hass oder Wut auf den politischen Gegner“ gewesen sei, sondern der Tatentschluss aus einer Notwehrhandlung heraus entstanden sei, da ein Begleiter des Täters von einer unbekannten Person geschlagen worden sei. Die Fahrt mit dem Auto auf dem Bürgersteig sei dafür allerdings das falsche Mittel gewesen. Dabei habe S. zunächst zwei Betroffene mit dem Auto getroffen, sei dann ohne zu bremsen weitergefahren und hätte dann eine weitere Betroffene getroffen. Ein vierter Betroffener habe sich nur durch einen Sprung retten können.

Spätestens, als der Täter nach dem ersten Aufprall ohne zu bremsen weiter auf dem Bürgersteig fuhr, in Kombination mit den vorherigen Aussagen des Täters über seinen Hass auf Linke, ergibt sich ein Gesamtbild, dass die Kammer meiner Meinung nach unzureichend bewertet hat“, erklärte Björn Elberling, Vertreter der Nebenklage, in Bezug auf den Tatvorwurf und die mögliche Tatmotivation. Dass die besondere Brutalität nicht in die Bewertung der Tat als rechter Angriff einfloss, ist aus Sicht von ZEBRA ebenfalls zu kritisieren.

Das Gericht hat zwar u.a. anhand der AfD-Mitgliedschaft des Täters ein zum Tatzeitpunkt rechtes Weltbild festgestellt, ein mögliches rechtes Tatmotiv, das sich strafverschärfend ausgewirkt hätte, sah das Gericht nicht als vollends bewiesen an. Dabei hatte sich der Täter neben seiner Parteimitgliedschaft bereits vor der Tat in einem Chat über seinen Hass gegen Linke ausgelassen.

Zudem führten Melvin S. und seine Begleiter Aufkleber mit rechten Inhalten und eine Flasche sogenannter „Reichsbrause“ mit sich, die im Onlineshop des bundesweit bekannten Neonazis Tommy Frenck zu erwerben ist, und lies sich am Rande der antifaschistischen Kundgebung damit fotografieren. Auf seinem Handy fanden sich rassistische, NS-verherrlichende und antisemitische Inhalte wie Fotos in Uniform oder Hakenkreuzdarstellungen. Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Belege für die extrem rechte Ideologie des Täters zeigen sich die Schwierigkeiten in der Anwendung des §46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches. „Was muss noch erwiesen sein, damit sich die politische Dimension mit §46 auch im Kontext Strafzumessung ausdrücken kann?“, kritisiert Felix Fischer, Berater bei ZEBRA.

Auf die vom Täter und seinen Begleitern behauptete Notwehrsituation ging das Gericht insoweit ein, dass es eine Situation gegeben habe, die den Täter veranlasst habe mit dem Auto loszufahren. Zu dieser Strategie hatte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der einen der Betroffenen in der Nebenklage vertrat, schon in seinem Plädoyer gesagt: „Der Angeklagte und seine Begleiter haben von Anfang an versucht, die bewährte Taktik des ‚wir wurden angegriffen‘ zu spielen.“ Ein Phänomen, dass bei rechten Angriffen immer wieder zu beobachten ist. Unter dem Vorwand einer stetigen, vermeintlichen Bedrohung von Antifaschist*innen oder einer imaginierten „Überfremdung“ sind Rechte dauerhaft in einer Situation, in der sie ihre Gewaltanwendung als vermeintliche Notwehrhandlungen begründen. Die „obsessive Beschäftigung“ mit der phantasierten Bedrohung durch den politischen Feind sei auch ein Beleg für einen Tötungsvorsatz beim Angeklagten, erklärte auch Rechtsanwalt Björn Elberling bereits in seinem Plädoyer: „Wer sein Volk gegen das Aussterben verteidigt, wer dabei gegen Gegner kämpft,[…] der schafft es dann auch, sich über eine Hemmschwelle hinwegzusetzen“.

Mit dem heutigen Urteil ist zwar die juristische Aufarbeitung der Autoattacke möglicherweise vorerst beendet, die physischen und psychischen Folgen für die Betroffenen wirken aber weiter. „Der Angriff mit dem Pick-Up kam aus dem Nichts. Er riss mich hinein in ein schmerzdominiertes Leben, von denen der Schmerz mittlerweile meinen Tagesablauf bestimmt und nicht mehr das Schöne“, erklärte einer der Betroffenen. Der rechte Angriff von Henstedt-Ulzburg, der durchaus hätte tödlich enden können, stellte für die Betroffenen einen massiven Einschnitt in ihr Leben dar. Teilweise bestehen bis heute Einschränkungen im alltäglichen Leben und noch ist unklar, ob die vorhandenen psychischen, physischen und materiellen Folgen entschädigt werden. Der Kampf der Betroffenen um Gerechtigkeit und Bewältigung ist daher noch lange nicht vorbei. „Ich habe gekämpft und ich habe überlebt. Der Prozess endet heute, aber ich werde weiter mit den Konsequenzen des Tötungsversuchs durch Melvin S. kämpfen“ eine Betroffene dazu.

Der Angriff von Henstedt-Ulzburg hat gezeigt, dass die jahrelange Hetze extrem rechter Akteur*innen (innerhalb der AfD) gegen Antifaschist*innen und von Rassismus betroffene Personen nicht ohne Wirkung bleibt und sich potentielle Täter*innen zu Angriffen berufen fühlen, die tödlich enden können. Die AfD versucht ihre eigene Rolle in der Autoattacke bis heute kleinzureden. Doch nicht nur war der Täter zum Tatzeitpunkt Mitglied der Partei, kurz nach der Tat traf er sich mit dem damaligen Kreisparteivorsitzenden Julian Flak, der ihm einen Austritt aus der AfD nahelegte, um Schaden von der Partei abzuwenden. Gleichzeitig versuchte Flak sich in Täter-Opfer-Umkehr und verteilte kurz nach der Tat in Henstedt-Ulzburg Flyer, die ein Verbot „der Antifa“ forderten. Vor dem Hintergrund, dass sich die „Junge Alternative“ in Schleswig-Holstein in letzter Zeit damit brüstet Kampfsporttrainings mit offen faschistischen Gruppen durchzuführen, bleibt die Gefahr von weiteren Angriffen auf alle Menschen, die nicht in ein rechtes Weltbild passen, bestehen.

Damit Betroffene solcher Angriffe mit den Folgen nicht alleine bleiben, braucht es solidarische Unterstützung, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit des Bündnisses „Tatort Henstedt-Ulzburg“, das den kompletten Prozess begleitet, mit unzähligen Kundgebungen auf die politische Dimension der Tat hingewiesen hat und den Betroffenen Raum bot ihre Perspektive in die Öffentlichkeit zu tragen. Felix Fischer erklärte dazu: „Die solidarische Prozessbegleitung und die Bemühungen, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten, sind von unschätzbarem Wert für die Betroffenen. Wir danken allen Unterstützer*innen und den engagierten Nebenklagevertreter*innen für ihren Einsatz.

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

21.12.2023
Pressemitteilung ZEBRA e.V.

Urteilsverkündung zur rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg

Nach über drei Jahren kam es heute zur Urteilsverkündung im Fall der rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg. Am 17. Oktober 2020 fuhr ein 19-Jähriger, der zum damaligen Zeitpunkt Mitglied in der AfD war, am Rande einer Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD mit einem Pick-Up in Antifaschist*innen und verletzte vier von ihnen teilweise schwer. Von einer Parkbucht aus steuerte Melvin S. das schwere Gefährt auf den Bürgersteig und fuhr gezielt in die Demonstrierenden. Der Angriff wurde von der Polizei in einer ersten Pressemitteilung noch als Verkehrsunfall verharmlost. Nachdem sich Betroffene öffentlich zu Wort gemeldet hatten, wurden die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung geführt. Seit Juli wurde der Fall vor dem Landgericht Kiel wegen versuchtem Totschlag verhandelt.

Heute wurde der Angeklagte Melvin S. wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Zudem muss er Schmerzensgeld an alle Betroffenen zahlen.

In der Urteilsbegründung erklärte das Gericht, dass die Tat „kein rechter Angriff aus Hass oder Wut auf den politischen Gegner“ gewesen sei, sondern der Tatentschluss aus einer Notwehrhandlung heraus entstanden sei, da ein Begleiter des Täters von einer unbekannten Person geschlagen worden sei. Die Fahrt mit dem Auto auf dem Bürgersteig sei dafür allerdings das falsche Mittel gewesen. Dabei habe S. zunächst zwei Betroffene mit dem Auto getroffen, sei dann ohne zu bremsen weitergefahren und hätte dann eine weitere Betroffene getroffen. Ein vierter Betroffener habe sich nur durch einen Sprung retten können.

Spätestens, als der Täter nach dem ersten Aufprall ohne zu bremsen weiter auf dem Bürgersteig fuhr, in Kombination mit den vorherigen Aussagen des Täters über seinen Hass auf Linke, ergibt sich ein Gesamtbild, dass die Kammer meiner Meinung nach unzureichend bewertet hat“, erklärte Björn Elberling, Vertreter der Nebenklage, in Bezug auf den Tatvorwurf und die mögliche Tatmotivation. Dass die besondere Brutalität nicht in die Bewertung der Tat als rechter Angriff einfloss, ist aus Sicht von ZEBRA ebenfalls zu kritisieren.

Das Gericht hat zwar u.a. anhand der AfD-Mitgliedschaft des Täters ein zum Tatzeitpunkt rechtes Weltbild festgestellt, ein mögliches rechtes Tatmotiv, das sich strafverschärfend ausgewirkt hätte, sah das Gericht nicht als vollends bewiesen an. Dabei hatte sich der Täter neben seiner Parteimitgliedschaft bereits vor der Tat in einem Chat über seinen Hass gegen Linke ausgelassen.

Zudem führten Melvin S. und seine Begleiter Aufkleber mit rechten Inhalten und eine Flasche sogenannter „Reichsbrause“ mit sich, die im Onlineshop des bundesweit bekannten Neonazis Tommy Frenck zu erwerben ist, und lies sich am Rande der antifaschistischen Kundgebung damit fotografieren. Auf seinem Handy fanden sich rassistische, NS-verherrlichende und antisemitische Inhalte wie Fotos in Uniform oder Hakenkreuzdarstellungen. Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Belege für die extrem rechte Ideologie des Täters zeigen sich die Schwierigkeiten in der Anwendung des §46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches. „Was muss noch erwiesen sein, damit sich die politische Dimension mit §46 auch im Kontext Strafzumessung ausdrücken kann?“, kritisiert Felix Fischer, Berater bei ZEBRA.

Auf die vom Täter und seinen Begleitern behauptete Notwehrsituation ging das Gericht insoweit ein, dass es eine Situation gegeben habe, die den Täter veranlasst habe mit dem Auto loszufahren. Zu dieser Strategie hatte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der einen der Betroffenen in der Nebenklage vertrat, schon in seinem Plädoyer gesagt: „Der Angeklagte und seine Begleiter haben von Anfang an versucht, die bewährte Taktik des ‚wir wurden angegriffen‘ zu spielen.“ Ein Phänomen, dass bei rechten Angriffen immer wieder zu beobachten ist. Unter dem Vorwand einer stetigen, vermeintlichen Bedrohung von Antifaschist*innen oder einer imaginierten „Überfremdung“ sind Rechte dauerhaft in einer Situation, in der sie ihre Gewaltanwendung als vermeintliche Notwehrhandlungen begründen. Die „obsessive Beschäftigung“ mit der phantasierten Bedrohung durch den politischen Feind sei auch ein Beleg für einen Tötungsvorsatz beim Angeklagten, erklärte auch Rechtsanwalt Björn Elberling bereits in seinem Plädoyer: „Wer sein Volk gegen das Aussterben verteidigt, wer dabei gegen Gegner kämpft,[…] der schafft es dann auch, sich über eine Hemmschwelle hinwegzusetzen“.

Mit dem heutigen Urteil ist zwar die juristische Aufarbeitung der Autoattacke möglicherweise vorerst beendet, die physischen und psychischen Folgen für die Betroffenen wirken aber weiter. „Der Angriff mit dem Pick-Up kam aus dem Nichts. Er riss mich hinein in ein schmerzdominiertes Leben, von denen der Schmerz mittlerweile meinen Tagesablauf bestimmt und nicht mehr das Schöne“, erklärte einer der Betroffenen. Der rechte Angriff von Henstedt-Ulzburg, der durchaus hätte tödlich enden können, stellte für die Betroffenen einen massiven Einschnitt in ihr Leben dar. Teilweise bestehen bis heute Einschränkungen im alltäglichen Leben und noch ist unklar, ob die vorhandenen psychischen, physischen und materiellen Folgen entschädigt werden. Der Kampf der Betroffenen um Gerechtigkeit und Bewältigung ist daher noch lange nicht vorbei. „Ich habe gekämpft und ich habe überlebt. Der Prozess endet heute, aber ich werde weiter mit den Konsequenzen des Tötungsversuchs durch Melvin S. kämpfen“ eine Betroffene dazu.

Der Angriff von Henstedt-Ulzburg hat gezeigt, dass die jahrelange Hetze extrem rechter Akteur*innen (innerhalb der AfD) gegen Antifaschist*innen und von Rassismus betroffene Personen nicht ohne Wirkung bleibt und sich potentielle Täter*innen zu Angriffen berufen fühlen, die tödlich enden können. Die AfD versucht ihre eigene Rolle in der Autoattacke bis heute kleinzureden. Doch nicht nur war der Täter zum Tatzeitpunkt Mitglied der Partei, kurz nach der Tat traf er sich mit dem damaligen Kreisparteivorsitzenden Julian Flak, der ihm einen Austritt aus der AfD nahelegte, um Schaden von der Partei abzuwenden. Gleichzeitig versuchte Flak sich in Täter-Opfer-Umkehr und verteilte kurz nach der Tat in Henstedt-Ulzburg Flyer, die ein Verbot „der Antifa“ forderten. Vor dem Hintergrund, dass sich die „Junge Alternative“ in Schleswig-Holstein in letzter Zeit damit brüstet Kampfsporttrainings mit offen faschistischen Gruppen durchzuführen, bleibt die Gefahr von weiteren Angriffen auf alle Menschen, die nicht in ein rechtes Weltbild passen, bestehen.

Damit Betroffene solcher Angriffe mit den Folgen nicht alleine bleiben, braucht es solidarische Unterstützung, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit des Bündnisses „Tatort Henstedt-Ulzburg“, das den kompletten Prozess begleitet, mit unzähligen Kundgebungen auf die politische Dimension der Tat hingewiesen hat und den Betroffenen Raum bot ihre Perspektive in die Öffentlichkeit zu tragen. Felix Fischer erklärte dazu: „Die solidarische Prozessbegleitung und die Bemühungen, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten, sind von unschätzbarem Wert für die Betroffenen. Wir danken allen Unterstützer*innen und den engagierten Nebenklagevertreter*innen für ihren Einsatz.

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

21.12.2023
Pressemitteilung ZEBRA e.V.

Urteilsverkündung zur rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg

Nach über drei Jahren kam es heute zur Urteilsverkündung im Fall der rechten und rassistischen Autoattacke von Henstedt-Ulzburg. Am 17. Oktober 2020 fuhr ein 19-Jähriger, der zum damaligen Zeitpunkt Mitglied in der AfD war, am Rande einer Kundgebung gegen eine Veranstaltung der AfD mit einem Pick-Up in Antifaschist*innen und verletzte vier von ihnen teilweise schwer. Von einer Parkbucht aus steuerte Melvin S. das schwere Gefährt auf den Bürgersteig und fuhr gezielt in die Demonstrierenden. Der Angriff wurde von der Polizei in einer ersten Pressemitteilung noch als Verkehrsunfall verharmlost. Nachdem sich Betroffene öffentlich zu Wort gemeldet hatten, wurden die Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung geführt. Seit Juli wurde der Fall vor dem Landgericht Kiel wegen versuchtem Totschlag verhandelt.

Heute wurde der Angeklagte Melvin S. wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt. Zudem muss er Schmerzensgeld an alle Betroffenen zahlen.

In der Urteilsbegründung erklärte das Gericht, dass die Tat „kein rechter Angriff aus Hass oder Wut auf den politischen Gegner“ gewesen sei, sondern der Tatentschluss aus einer Notwehrhandlung heraus entstanden sei, da ein Begleiter des Täters von einer unbekannten Person geschlagen worden sei. Die Fahrt mit dem Auto auf dem Bürgersteig sei dafür allerdings das falsche Mittel gewesen. Dabei habe S. zunächst zwei Betroffene mit dem Auto getroffen, sei dann ohne zu bremsen weitergefahren und hätte dann eine weitere Betroffene getroffen. Ein vierter Betroffener habe sich nur durch einen Sprung retten können.

Spätestens, als der Täter nach dem ersten Aufprall ohne zu bremsen weiter auf dem Bürgersteig fuhr, in Kombination mit den vorherigen Aussagen des Täters über seinen Hass auf Linke, ergibt sich ein Gesamtbild, dass die Kammer meiner Meinung nach unzureichend bewertet hat“, erklärte Björn Elberling, Vertreter der Nebenklage, in Bezug auf den Tatvorwurf und die mögliche Tatmotivation. Dass die besondere Brutalität nicht in die Bewertung der Tat als rechter Angriff einfloss, ist aus Sicht von ZEBRA ebenfalls zu kritisieren.

Das Gericht hat zwar u.a. anhand der AfD-Mitgliedschaft des Täters ein zum Tatzeitpunkt rechtes Weltbild festgestellt, ein mögliches rechtes Tatmotiv, das sich strafverschärfend ausgewirkt hätte, sah das Gericht nicht als vollends bewiesen an. Dabei hatte sich der Täter neben seiner Parteimitgliedschaft bereits vor der Tat in einem Chat über seinen Hass gegen Linke ausgelassen.

Zudem führten Melvin S. und seine Begleiter Aufkleber mit rechten Inhalten und eine Flasche sogenannter „Reichsbrause“ mit sich, die im Onlineshop des bundesweit bekannten Neonazis Tommy Frenck zu erwerben ist, und lies sich am Rande der antifaschistischen Kundgebung damit fotografieren. Auf seinem Handy fanden sich rassistische, NS-verherrlichende und antisemitische Inhalte wie Fotos in Uniform oder Hakenkreuzdarstellungen. Vor dem Hintergrund dieser eindeutigen Belege für die extrem rechte Ideologie des Täters zeigen sich die Schwierigkeiten in der Anwendung des §46 Abs. 2 des Strafgesetzbuches. „Was muss noch erwiesen sein, damit sich die politische Dimension mit §46 auch im Kontext Strafzumessung ausdrücken kann?“, kritisiert Felix Fischer, Berater bei ZEBRA.

Auf die vom Täter und seinen Begleitern behauptete Notwehrsituation ging das Gericht insoweit ein, dass es eine Situation gegeben habe, die den Täter veranlasst habe mit dem Auto loszufahren. Zu dieser Strategie hatte Rechtsanwalt Alexander Hoffmann, der einen der Betroffenen in der Nebenklage vertrat, schon in seinem Plädoyer gesagt: „Der Angeklagte und seine Begleiter haben von Anfang an versucht, die bewährte Taktik des ‚wir wurden angegriffen‘ zu spielen.“ Ein Phänomen, dass bei rechten Angriffen immer wieder zu beobachten ist. Unter dem Vorwand einer stetigen, vermeintlichen Bedrohung von Antifaschist*innen oder einer imaginierten „Überfremdung“ sind Rechte dauerhaft in einer Situation, in der sie ihre Gewaltanwendung als vermeintliche Notwehrhandlungen begründen. Die „obsessive Beschäftigung“ mit der phantasierten Bedrohung durch den politischen Feind sei auch ein Beleg für einen Tötungsvorsatz beim Angeklagten, erklärte auch Rechtsanwalt Björn Elberling bereits in seinem Plädoyer: „Wer sein Volk gegen das Aussterben verteidigt, wer dabei gegen Gegner kämpft,[…] der schafft es dann auch, sich über eine Hemmschwelle hinwegzusetzen“.

Mit dem heutigen Urteil ist zwar die juristische Aufarbeitung der Autoattacke möglicherweise vorerst beendet, die physischen und psychischen Folgen für die Betroffenen wirken aber weiter. „Der Angriff mit dem Pick-Up kam aus dem Nichts. Er riss mich hinein in ein schmerzdominiertes Leben, von denen der Schmerz mittlerweile meinen Tagesablauf bestimmt und nicht mehr das Schöne“, erklärte einer der Betroffenen. Der rechte Angriff von Henstedt-Ulzburg, der durchaus hätte tödlich enden können, stellte für die Betroffenen einen massiven Einschnitt in ihr Leben dar. Teilweise bestehen bis heute Einschränkungen im alltäglichen Leben und noch ist unklar, ob die vorhandenen psychischen, physischen und materiellen Folgen entschädigt werden. Der Kampf der Betroffenen um Gerechtigkeit und Bewältigung ist daher noch lange nicht vorbei. „Ich habe gekämpft und ich habe überlebt. Der Prozess endet heute, aber ich werde weiter mit den Konsequenzen des Tötungsversuchs durch Melvin S. kämpfen“ eine Betroffene dazu.

Der Angriff von Henstedt-Ulzburg hat gezeigt, dass die jahrelange Hetze extrem rechter Akteur*innen (innerhalb der AfD) gegen Antifaschist*innen und von Rassismus betroffene Personen nicht ohne Wirkung bleibt und sich potentielle Täter*innen zu Angriffen berufen fühlen, die tödlich enden können. Die AfD versucht ihre eigene Rolle in der Autoattacke bis heute kleinzureden. Doch nicht nur war der Täter zum Tatzeitpunkt Mitglied der Partei, kurz nach der Tat traf er sich mit dem damaligen Kreisparteivorsitzenden Julian Flak, der ihm einen Austritt aus der AfD nahelegte, um Schaden von der Partei abzuwenden. Gleichzeitig versuchte Flak sich in Täter-Opfer-Umkehr und verteilte kurz nach der Tat in Henstedt-Ulzburg Flyer, die ein Verbot „der Antifa“ forderten. Vor dem Hintergrund, dass sich die „Junge Alternative“ in Schleswig-Holstein in letzter Zeit damit brüstet Kampfsporttrainings mit offen faschistischen Gruppen durchzuführen, bleibt die Gefahr von weiteren Angriffen auf alle Menschen, die nicht in ein rechtes Weltbild passen, bestehen.

Damit Betroffene solcher Angriffe mit den Folgen nicht alleine bleiben, braucht es solidarische Unterstützung, die sich an den Bedürfnissen der Betroffenen orientiert. Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit des Bündnisses „Tatort Henstedt-Ulzburg“, das den kompletten Prozess begleitet, mit unzähligen Kundgebungen auf die politische Dimension der Tat hingewiesen hat und den Betroffenen Raum bot ihre Perspektive in die Öffentlichkeit zu tragen. Felix Fischer erklärte dazu: „Die solidarische Prozessbegleitung und die Bemühungen, das Thema in der Öffentlichkeit zu halten, sind von unschätzbarem Wert für die Betroffenen. Wir danken allen Unterstützer*innen und den engagierten Nebenklagevertreter*innen für ihren Einsatz.

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministerium für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

Gewalt von rechts nimmt zu: Das Monitoring der Kieler Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt zeigt Abweichungen zu Polizei-Statistiken

Am Rand einer AfD-Veranstaltung fährt ein Wagen in die Gegendemonstration, vier Personen werden verletzt – einer der Vorfälle des Jahres 2020, die das Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (Zebra) als rechts-motivierte Tat zählte. Die Jahresstatistik, die der Zebra-Berater Kai Stoltmann am Montag vorstellte, umfasste 79 rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten. 2019 hatte Zebra 57 Fälle gezählt, durch Nachmeldungen kamen 64 zusammen. Auch für 2020 rechnet Stoltmann mit Nachmeldungen. „Rechte Gewalt ist kein ostdeutsches Phänomen, sondern überall verankert“, sagte der Berater. […]

Vollständiger Artikel unter: taz.de/Archiv-Suche/!5767035

Segeberg und Stormarn sind Hotspots rechter Gewalt

Im vergangenen Jahr wurden zwei Drittel der Opfer körperlich verletzt. Der Betroffenenverein Zebra mahnt: Der rechtsextreme „Aryan Circle“ ist in der Region weiter sehr aktiv.

Im Jahr 2019 galt Segeberg plötzlich als Brennpunkt rassistischer Gewalt. Ein Jahr später ist der Anstieg der Taten zwar nicht so massiv gewesen, dennoch bleibt der Kreis mit rechter und rassistischer Gewalt landesweit im Fokus. Aktuelle Schwerpunkte sind außerdem der Kreis Stormarn sowie die Städte Neumünster und Kiel. Das teilt das Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (Zebra) in Kiel mit.

Vollständiger Artikel unter: ln-online.de/Lokales/Segeberg/Segeberg-und-Stormarn-sind-Hotspots-rechter-Gewalt

„Die Angst verfolgt uns bis heute“ – Ausstellung zu rechten Angriffen in Schleswig-Holstein im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus startet am Montag in Flensburg

Gemeinsame Pressemitteilung zusammen mit den Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus vom 19.03. 2021

Flensburg. Ein Geflüchteter wird rassistisch beschimpft und zusammengeschlagen, ein Banner von linken Klimaaktivist*innen angezündet, ein jüdisches Ehepaar mit Bierflaschen beworfen: Die Zahl solcher rassistischen, antisemitischen und rechten Angriffe ist auch in Schleswig-Holstein seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau, doch die Betroffenen finden in der Gesellschaft nur selten Gehör. Die Ausstellung „Die Angst verfolgt uns bis heute“ soll den Betroffenen eine Stimme geben. Sie zeigt, wie unterschiedlich rechte Gewalt in alltäglichen Situationen auftreten kann und welche Folgen sie hat.

Die Ausstellung startet am Montag, den 22. März 2021 und läuft bis Sonntag, den 4. April 2021 und wird außen im Schaufenster des ehemaligen Einrichtungshauses Carstens, Norderstraße 26-32, in Flensburg, gezeigt.

Die Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus des AWO Landesverbandes Schleswig-Holstein haben die Ausstellung gemeinsam mit zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe organisiert und im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus nach Flensburg geholt. „Gesellschaft und Politik müssen wachsam bleiben bei rechter Gewalt und Menschenfeindlichkeit. Das gilt auch für Schleswig-Holstein. Wir müssen denen, die davon betroffen sind eine Stimme geben und das gemeinsame Engagement gegen Hass, Ausgrenzung und Gewalt verstärken“, sagt der Vorstandsvorsitzende der AWO Schleswig-Holstein, Michael Selck.

Der SBV stellt den Organisatoren zwei seiner Gewerbeflächen in der Norderstraße mietfrei zur Verfügung. „Wir unterstützen die Ausstellung gern. Beim SBV sind Menschen aller Nationalitäten herzlich willkommen. Uns als Genossenschaft sind ein friedliches Miteinander und gegenseitige Wertschätzung wichtig, Diskriminierung, Intoleranz oder gar Gewalt haben da überhaupt keinen Platz“, sagt SBV-Vorstandsvorsitzender Jürgen Möller.

Für die Ausstellung hat zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe mit Betroffenen zwischen Flensburg und Pinneberg gesprochen, die ihre Geschichte der Öffentlichkeit erzählen. „Die Zahl rechter Angriffe befindet sich in Schleswig-Holstein trotz Corona auf einem anhaltend hohen Niveau. Unsere Ausstellung soll das Bewusstsein für dieses Problem stärken und gleichzeitig den Betroffenen von rechten Angriffen Gehör verschaffen“, sagt Dr. Kai Stoltmann, Berater bei Zebra.

Jahresrückblick 2019 – Schleswig-Holstein: Identitäre auf dem Rückzug und ein verhindertes Freiwild-Konzert

Was wird uns von 2019 in Erinnerung bleiben? Für den Belltower.News-Jahresrückblick befragen wir zivilgesellschaftliche Initiativen und Akteur*innen über die Situation in ihrem Bundesland. Torsten Nagel, Regionales Beratungsteams gegen Rechstextremismus der AWO, Lasse von Bergen, Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein e.V. und Kai Stoltmann, zebra – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe haben mit uns über Schleswig-Holstein gesprochen. Wie im Rest von Deutschland, ist auch in hohen Norden die Stimmung rassistischer und ausgrenzender geworden. Schon Jugendliche sind zum Teil in rechtsextremen Strukturen organisiert. Aber in Schlewig-Holstein regt sich auch die Zivilgesellschaft und positioniert sich gegen rechte Konzerte und Tattoostudios mit NPD-Verbindungen.

Belltower.News: Was waren in 2019 die wichtigsten Ereignisse in Sachen Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein?
2019 ist der bekannte Rechtsextremist Bernd Tödter wieder zurück nach Bad Segeberg in Schleswig-Holstein gezogen und rekrutiert seitdem massiv Jugendliche im öffentlichen Raum und auch auf Schulhöfen. Er baut gerade in Anlehnung an eine amerikanische Organisation eine Gruppe namens „Aryan Circle“ auf. Das ist aktuell das Thema, das die Region in Atem hält. Tödter halten wir ohnehin für gefährlich, dazu kommt seine rechtsextreme Ideologie.

In Bad Segeberg werden Vertreter der Zivilgesellschaft massiv unter Druck gesetzt. Es kommt zu Bedrohungen und tätlichen Angriffen, die sich meist gegen politische Gegner und Menschen richten, die von Rassismus betroffen sind. Durch die Aktivitäten dieser extrem rechten Gruppe rechnet unsere Opferberatungsstelle auch weiterhin mit großen Unterstützungsbedarfen aus dem Kreis Segeberg.

Allgemein haben sich die Einstellungen gegenüber Geflüchteten oder gegenüber People of Colour nach rechts verschoben, die Stimmung ist rassistischer geworden. Diese Einstellungen haben sich in der Mitte der Gesellschaft verfestigt. Dadurch gibt es schnelle und einfache Andockmöglichkeiten bei Jugendlichen. Das ist ein Boden auf dem Agitation erfolgreich ist.

Merkt ihr das in eurer täglichen Arbeit?
Es gibt deutlich mehr Fälle in der Beratungsarbeit, bei denen es um rassistische Vorfälle an Schulen oder Betrieben geht. Mitschüler*innen mit Migrationshintergrund werden zum Teil aufs übelste diskriminiert. In WhatsApp-Gruppen von Schüler*innen wird immer wieder der Nationalsozialismus verherrlicht und im Nachgang dann gegen Geflüchtete und eben auch gegen Mitschüler*innen gehetzt.

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat in Schleswig-Holstein für eine Studie Schüler*innen von der siebten bis zur neunten Klasse zu Einstellungsmustern und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit befragt. Die Ergebnisse sind erschreckend und leider deutlich. Es zeigt sich, dass 8,8 Prozent der Befragten Mitglied in einer rechtsextremen Kameradschaft, Clique oder Gruppierung sind. Dabei zeigt sich auch, dass Rechtsextreme weiterhin auf Schulhöfen agitieren.

In der gleichen Studie berichten 22,3 Prozent der Schüler, dass sie bestimmte Orte meiden, damit sie keine Probleme bekommen. Somit schaffen rechte und rassistische Angriffe Angsträume, die sich negativ auf die Lebensqualität der Betroffenen auswirken. Diesbezüglich belegen die Zahlen der Regionalanalyse vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen eine erschreckende Dimension.

Wie sieht es mit Rechtsrock und ähnlichen Veranstaltungen in Schleswig-Holstein aus?
Neumünster hat das Kulturzentrum Titanic, ein dezidiert rechter Raum, der als Durchlauferhitzer für den Nachwuchs funktioniert. Dort finden Konzerte statt, ansonsten ist es aber auch ein Treffpunkt. Die Bands, die dort spielen, kommen zum Teil auch aus dem Blood & Honour-Umfeld. Dazu kommen Anmietungsversuche für Konzerte oder andere Veranstaltungen. Generell versuchen die Akteur*innen sich ein nach außen bürgerliches Image zu geben und darüber mit Menschen in Kontakt zu kommen. Ähnliche Strategien sieht man zum Beispiel in rechten Kampfsportgruppen, wo ein Raum geboten wird, der dann aber auch zur politischen Agitation nach rechtsaußen benutzt wird.

Zusätzlich boten aber auch Konzerte von bekannten Bands wie Frei.Wild oder den Böhsen Onkelz eine Grauzone, in welcher Rechtsextreme sich relativ sicher fühlen und auch entsprechend offen auftreten konnten.

Wer sind die wichtigsten Rechtsaußen-Akteure?
Es sind eher klassische Neonazi-Strukturen, die sich weiter halten, meist mit relativ wenigen Akteuren, die eher regional arbeiten. Dabei gibt es aber Verbindungen nach Kiel, Lübeck, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern. Es gibt Verbindungslinien zwischen dem klassischen, älteren, rechtsextremen Milieu, die gute Kontakte haben und sich eher im Hintergrund aufhalten und zum Beispiel dem Rocker-Milieu nahestehen. Das zeigt sich ganz aktuell um den Fall eines Tattoo-Studios in einem Einkaufszentrum in Neumünster. Dort soll der frühere NPD-Landesvorsitzende Peter Borchert die Fäden in der Hand halten. Dem Studio wurde jetzt die Ladenfläche gekündigt.

Die Identitäre Bewegung ist im Land in diesem Jahr eher zurückhaltend gewesen. In Flensburg tauchte in diesem Jahr ein Kleinstverlag auf, in dem mit „Die Abenteuer von La Banda Reconquista: 3,2,1 – Peng!“ bisher ein Identitären Comic erschien. In Kiel gab es im Spätsommer im Rahmen einer bundesweiten Aktionswoche eine Flyer-Aktion über angebliche „No-Go-Areas“. Aber ansonsten ist die IB im Bundesland eher schwach aufgestellt.

In Schleswig-Holstein ist vor allem in Neumünster die NPD weiter aktiv. In Schleswig-Holstein haben wir einige rechtsextreme Verlage mit bundesweiter Ausstrahlungskraft.

Wie gibt sich die AfD in Schleswig-Holstein?
Mit der mittlerweile rausgeworfenen Doris von Sayn Wittgenstein gab es eine Vorsitzende mit ganz offenen Beziehungen zum Rechtsextremismus. Innerhalb der Partei gibt es offenbar Machtkämpfe zwischen angeblich gemäßigten Teilen und Mitgliedern, die der ehemaligen Vorsitzenden nahestehen. Selbst nachdem sie die Partei verlassen musste, haben sich noch ganze Kreisverbände zu ihr bekannt. Ferner positionieren sich einige Kreisverbände auf der Linie des rechtsextremen Flügels und posten auf den jeweiligen Facebook-Seiten mitunter massiv menschenverachtende und verschwörungstheoretische Beiträge.

Die Partei veranstaltet im Landtag regelmäßig eine Veranstaltung namens „Fraktion im Dialog“ und lädt immer wieder Redner ein, die der Neuen Rechten zuzuordnen sind.

Der Pressesprecher der AfD ist auch der Sprecher eines Vereins namens „Echte Toleranz“, der sich vor allem gegen die sogenannten „Schlau“-Workshops einsetzt, mit denen an Schulen Wissen zum Thema sexuelle Vielfalt vermittelt werden soll.

Die Partei versucht mit Frauenhäusern oder Frauenberatungsstellen Allianzen zu bilden, bei denen es in der Regel darum geht, Gewalt gegen Frauen als reines Problem von Zugewanderten darzustellen. Erfolgreich ist das weitestgehend nicht, es gibt da in der Regel sehr klare fundierte Positionierungen von Beratungsstellen. Das wird sicherlich ein Thema sein, dass uns auch im nächsten Jahr weiterbeschäftigen wird.

Gab es positive Ereignisse für euch?
Anfang des Jahres sollte in Flensburg ein Konzert der Band Freiwild stattfinden. Dagegen hat sich sehr schnell und sehr massiv Widerstand geregt. Es gab ein großes Bündnis, „Kein Hafen für Nationalismus“. Die Oberbürgermeisterin Simone Lange hat sich sehr klar positioniert und sich geweigert einer rechtsaffinen Band wie Freiwild städtische Räume zur Verfügung zu stellen, weil die vertretenen Meinungen konträr zum Image von Flensburg stehen. Freiwild konnte dann auch tatsächlich nicht in der Flensburger Arena auftreten. Die Schattenseite der Geschichte ist, dass die Band vor kleinerem Publikum im Rahmen einer „Kundgebung“ im April auftrat und ein paar Songs spielte. Trotzdem ist das ein gutes Beispiel für andere Kommunen.

Aus Betroffenenperspektive würden mir aus dem Kreis Segeberg positive Ereignisse einfallen. So hat sich etwa in der nahegelegenen Gemeinde Sülfeld ein breites Bündnis mit den Opfern von rechter Gewalt solidarisiert. Getragen von zahlreichen zivilgesellschaftlichen Akteuren wurden beispielsweise rechte Sticker von „Aryan Circle“ wieder entfernt. Bei einem Spiel des örtlichen Handball-Frauenteams haben 800 Menschen ein Zeichen für eine offene Zivilgesellschaft gesetzt und auch der Sülfelder Pfarrer hat sich mehrfach gegen rechte Gewalt positioniert, um den Betroffenen den Rücken zu stärken.

(https://www.belltower.news/jahresrueckblick-2019-schleswig-holstein-rechtsextreme-schuelerinnen-identitaere-auf-dem-rueckzug-und-ein-verhindertes-freiwild-konzert-94167/)

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Brennende Republik Deutschland

Am 18. Januar 2021 jährt sich der Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße zum 25. Mal. Die schwere Brandstiftung zu einer Zeit, als in der ganzen Republik Asylunterkünfte in Brand gesteckt wurden, ist bis heute ungenügend aufgeklärt, der Mord an zehn Menschen bis heute ungesühnt. Einseitige und von Pannen geprägte Ermittlungen werfen nach wie vor Fragen auf. Kristof Warda erinnert an die Geschehnisse im Januar 1996 und an die Geschichte rassistischer Gewalt in der alten und neuen Bundesrepublik

Vollständiger Artikel unter: https://schleswig-holstein.sh/blog/2020/12/06/brennende-republik-deutschland-luebecker-brandanschlag/ und https://schleswig-holstein.sh/blog/2020/12/06/rechte-angriffe-in-schleswig-holstein/

Zeitzeug*innen-Gespräch zu „Rassismus, migrantische Selbstorganisation und der Mauerfall“ anlässlich der Webdokumentation:  https://gegenuns.de

Pressemitteilung des VBRG – Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V. vom 01.10.2020

Livestream der Paneldiskussion aus Erfurt am 8.10.2020 von 19:00 – 20:30: www.gegenuns.de/diskussionmit: Garip Bali (Berlin), Rashid Jadla (Erfurt), Angelika Ngyuen (Berlin), José Paca (Erfurt) moderiert von Ceren Türkmen (VBRG)

Mit dem Zeitzeug*innen-Gespräch zur Webdokumentation gegenuns.de erinnern die Thüringer Opferberatungsstelle ezra, der Verband für Beratungsstellen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) in Kooperation mit dem Aktionsbündnis Antira Berlin (ABA) an Alltagserfahrungen mit rechter Gewalt, Rassismus und Nationalismus und migrantischer Selbstorganisation, die im Windschatten der Feierlichkeiten zum 30. Jubiläum des Mauerfalls allzu oft in Vergessenheit geraten. Die Berichte der Zeitzeug*innen der Paneldiskussion bilden ein wichtiges Gegennarrativ zu den überwiegenden Erzählungen der Jubiläumsfeierlichkeiten zur deutschen Einheit.

„Rechte Gewalt und Rassismus haben sich in Thüringen – wie in allen ostdeutschen Bundesländern – seit dem Mauerfall auf einem erschreckend hohen Niveau normalisiert. Das häufigste Tatmotiv ist dabei Rassismus. Darin besteht eine Kontinuität bis in die Zeit vor 1990. Die Erfahrungen von Rashid Jadla und José Paca, Angelika Nguyen und Garip Bali stehen stellvertretend für die Erfahrungen vieler Menschen, die gegen den alltäglich erlebten Rassismus unterschiedlichste Formen des selbstorganisierten Widerstands entwickelt haben. Dies wird in der Paneldiskussion und der Webdokumentation gegenuns.de sichtbar“, betont ezra-Projektkoordinator Franz Zobel.

Das Diskussionspanel findet im Rahmen der Webdokumentation www.gegenuns.de statt, eines von 30 nominierten Projekten bei der Preisverleihung des Bürgerpreises „Einheitspreis“. Die Preisverleihung wird am 2. Oktober 2020 online stattfinden: www.einheitspreis.de. Die Dokumentation „Gegen uns. Betroffene im Gespräch über rechte Gewalt nach 1990 und die Verteidigung der solidarischen Gesellschaft“ berichtet in einzelnen Episoden über Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt und über ihre persönlichen Erfahrungen von Gewalt, Ausgrenzung und Kriminalisierung, aber auch von gelebter Solidarität und erfolgreichem Widerstand. Fotos, zeitgeschichtliche Dokumente und Hintergrundtexte ergänzen die Erzählungen und zeigen den gesellschaftlichen Kontext, in dem rechte Gewalt stattfindet. Die zweite Episode fokussiert das Leben in der Thüringer Landeshauptstadt Erfurt. Zentrale Akteure sind Rashid Jadla und José Paca.

Die Diskussion am 8.10. wird von 19 bis 20:30 Uhr per Livestream übertragen. In Berlin findet ein kostenfreies, aber pandemiebedingt anmeldepflichtiges Public Viewing im Kino Central in Berlin-Mitte statt.

Veranstaltungs-Livestream: www.gegenuns.de/diskussion

Anmeldung für Public Screening: info@verband-brg.de

www.verband-brg.de / www.ezra.de / www.facebook.com/AktionAntira

Zur Webdokumentation gegenuns.de:

Webdokumentation „Gegen uns“, Episode „Rassismus, rechte Gewalt und Migrantifa in Erfurt“: https://gegenuns.de/rashidjadla/

Anhand von ausgewählten Porträts, Interviews und zeitgeschichtlichen Dokumenten aus unterschiedlichen Bundesländern dokumentiert #gegenuns auch vielfältige Formen von Widerstand und Solidarität. Veröffentlicht wurden bisher Porträts des 1991 in Dresden bei einem Neonazi-Angriff getöteten ehemaligen Vertragsarbeiters Jorge Gomondai (https://gegenuns.de/jorge-gomondai/) und des Erfurter Rappers Sonne Ra. Am 26. Oktober 2020 folgt eine Episode zu der 2007 in Dresden aus antimuslimischem Rassismus getöteten Apothekerin Marwa El-Sherbini. Jede Episode dokumentiert neben der lebensbiographisch-persönlichen Erzählung auch die strafrechtliche (Nicht-)Aufarbeitung, die Erinnerungspolitik vor Ort und die persönliche und zivilgesellschaftliche Aufarbeitung.

Hintergrundinformationen zu teilnehmenden Zeitzeug*innen:

Rashid Jadla wurde 1978 in Erfurt geboren. Er ist Sohn eines algerischen Vertragsarbeiters und einer DDR-Bürgerin. Auf gegenuns.de erzählt er von Ausgrenzung, Rassismus und den Diskriminierungserfahrungen, die er bereits als Kind in der DDR erleben musste, aber auch von gelebter Solidarität und Widerstand. Rashid beginnt sich nach der Maueröffnung mit anderen Menschen, die ebenfalls von Rassismus betroffen sind, zu organisieren und findet bald Kraft im Hip-Hop. Er organisiert Hip-Hop-Partys und schafft so sichere Räume, in denen migrantische Jugendliche fernab ihres Alltags nicht ständig mit Diskriminierung konfrontiert sind. Rashid rappt bis heute unter dem Namen „Sonne Ra“. Demnächst erscheint sein neues Album „Superposition“.

José Paca wurde 1961 in Angola geboren. Seit seinem 18. Lebensjahr arbeitete er für die damalige angolanische Regierung als Verwaltungsbeamter, bevor er 1989 wenige paar Monate, bevor die Mauer fällt, als Austauschstudent nach Erfurt in die letzten Monate der DDR kommt. In „Gegen uns“ erzählt José Paca von menschenverachtenden, rassistischen Verhalten, mit dem er in der DDR und nach dem Mauerfall im wiedervereinigten Deutschland konfrontiert wird. Die Notwendigkeit der Vernetzung von Migrant*innen und die Stärke, die daraus erwächst, sind José Pacas Lebensthema. 2014 wurde er dafür mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Er war und ist zudem ein wichtiger Mentor für Rashid Jadla und andere von Rassismus betroffene Jugendliche in Erfurt. José Paca ist langjähriger Vorsitzender des Ausländerbeirats in Erfurt, Vorsitzender des Vereins „Afro Sport“ und Vorstandsvorsitzender des Dachverbands der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst).

Angelika Nguyen wurde in der DDR als Kind deutsch-vietnamesischer Eltern geboren und studierte Filmwissenschaft an der Filmhochschule Babelsberg. Sie drehte 1992 den Dokumentarfilm „Bruderland ist abgebrannt“ über die Erfahrungen vietnamesischer Migrant*innen in Ostberlin. Ihr Essay „Mutter, wie weit ist Vietnam?“ über den Rassismus in ihrer Kindheit erschien 2011 in dem Sammelband „Kaltland“ im Rotbuchverlag. Sie arbeitet als Autorin, Referentin und Filmjournalistin und schreibt u.a. für ZEIT-Online, Jalta, telegraph.cc, WerkstattGeschichte. Sie ist Mitglied bei korientation e.V., einem Netzwerk für asiatisch-deutsche Perspektiven und im Kuratorium des Hauses für Demokratie und Menschenrechte.

Garip Bali lebt seit Anfang der 1971 in Berlin. Seine Eltern migrierten Ende der 1960er-Jahre als kurdisch-alevitische Gastarbeiter*innen nach Berlin. Er studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität Berlin und engagierte sich bereits seit den 1970ern und 1980er Jahren im „Arbeiter- und Jugendverein aus der Türkei“. Garpi Bali gehört zu den Mitbegründern des Vereins ADA, der sich in den 1990er Jahren mit Antirassismus und Antifaschismus auseinandersetzte. 2004 schließt sich der Verein mit anderen Gruppen aus ähnlichen Kontexten zum „Allmende – Haus alternativer Migrationspolitik“ zusammen, wo er bis heute aktiv ist. Sie organisieren antirassistische Kampagnen, Veranstaltungen und Aktionen und sind Herausgeber der Zeitschrift „Inisiyatif – gegen Faschismus und Rassismus“ auf Türkisch/Deutsch.

ezra arbeitet in Trägerschaft der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM). Seit April 2011 unterstützt die Beratungsstelle Menschen, die angegriffen werden, weil Täter*innen sie einer von ihnen abgelehnten Personengruppe zuordnen. Finanziert wird die Opferberatungsstelle über das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ und das Thüringer Landesprogramm für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit „DenkBunt“.