Monitoring 2024

Anzahl dokumentierter rechter 

Gewalttaten in Schleswig-Holstein erneut gestiegen

Beratungsstelle ZEBRA stellt Ergebnisse
des landesweiten Monitorings für 2024 vor

Fast jeden zweiten Tag wurden in Schleswig-Holstein im vergangenen Jahr Menschen aus rassistischen, antisemitischen oder anderen rechten Motiven angegriffen. 

Die Beratungsstelle ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe registrierte 2024 im Rahmen ihres unabhängigen Monitorings insgesamt 164 Gewalttaten von denen mindestens 263 Menschen betroffen waren. Dies stellt im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg um rund 20% dar. 2023 wurden 136 Vorfälle registriert. Weiterhin sind unter den Betroffenen viele Kinder und Jugendliche (2024: 57; 2023: 38).

Rassistische Gewalt nimmt weiter zu – Angriffe auf politische Gegner*innen im Kreis Stormarn – Immer mehr Bedrohungen mit massiven Folgen

Tatmotive 2024

Menschen, die rassistische Gewalt erlebten, bildeten auch 2024 deutlich die größte Betroffenengruppe. Damit setzte sich eine Entwicklung aus dem Vorjahr fort: Nachdem diese Betroffenengruppe bereits 2023 deutlich gewachsen war, macht sie jetzt über 75% der Vorfälle aus. Die zweitmeisten Angriffe richteten sich gegen politische Gegner*innen, gefolgt von antisemitischen und queerfeindlichen Gewalttaten.

 „Die Zahlen aus dem unabhängigen Monitoring über rechte Angriffe sind verstörend, wir betrachten den Anstieg von rund 20 %, als alarmierend. Dieser Tendenz müssen wir in allen gesellschaftlichen Räumen entgegenwirken, Rassismus und Rechtsextremismus dürfen in Schleswig-Holstein nicht das neue Normal werden.“

Sybilla Nitsch (MdL, SSW) 

Dabei sind rechte Angriffe weiterhin von einer hohen körperlichen Gewalt geprägt. Körperverletzungsdelikte steigen weiter und stellen immer noch fast die Hälfte aller Angriffe dar.

Gleichzeitig stieg die Zahl der Nötigungen und Bedrohungen am stärksten an, was dafür sprechen könnte, dass sich Betroffene vor dem Hintergrund einer gesellschaftlich immer stärker werdenden extremen Rechten bei entsprechenden Delikten mehr Bedarfe entwickeln und sich häufiger an Polizei oder Beratungsstellen wenden.

Tatbestände 2024

Exemplarisch steht dafür ein Fall in dem eine Familie mit mehreren Kindern über ein Jahr lang von ihrem Nachbarn aus rassistischen Motiven schikaniert wurden, bis der Nachbar schließlich der Mutter im Beisein ihrer Kinder mit dem Tod drohte. Die Betroffenen äußern große Angst vor weiteren Taten durch den Angreifer. Sie würden am liebsten umziehen, doch finden trotz langer Suche keine geeignete und bezahlbare Wohnung. Das Sicherheitsgefühl der Betroffenen ist zu Hause – dort, wo es am größten sein sollte – schwerwiegend  beeinträchtigt.

Betroffene von rassistischen Angriffen berichten ZEBRA immer wieder, dass sie bereits zuvor im Alltag immer wieder rassistische Diskriminierung erfahren haben und diese durch den erlebten Angriff nochmal verstärkt wurden. Damit wird die Verarbeitung der Angriffsfolgen für die Betroffenen ungemein schwerer, da sich häufig jahrelang erlebter Rassismus mit den konkreten Angriffsfolgen vermischt. Gleichzeitig wird die Verarbeitung der Angriffsfolgen für marginalisierte Personen durch strukturelle Hürden zu Unterstützungsmöglichkeiten zusätzlich erschwert. Hier fehlt es beispielsweise an niedrigschwelliger Sprachmittlung bei Arztbesuchen und Rechtsanwält*innen, Zugang zu Therapieangeboten oder ausreichend qualifiziertem Personal für die Unterstützung bei lebensweltlichen Problemen. Die dadurch oft langwierige Verarbeitung der Angriffsfolgen hemmt damit die Möglichkeit an sozialer Teilhabe, was wiederum die Verarbeitung der Angriffsfolgen erschwert. Ein Teufelskreis, der die Betroffenen langfristig begleitet.

ENTWICKLUNG BEDROHUNG UND KÖRPERVERLETZUNG 2020–2024

„Die Beratungsstelle ZEBRA beobachtet einhergehend mit dem Anstieg der dokumentierten Bedrohungen im Monitoring auch einen Anstieg der Beratungsanfragen. Wir haben im vergangenen Jahr in 24 neuen Fällen von Bedrohungen und Nötigung beraten – doppelt soviel wie noch im Jahr zuvor. Dabei zeigen sich immer wieder die massiven Folgen für die Betroffene auch bei diesen Delikten.“

Felix Fischer (Berater bei ZEBRA)

LANDKREISE 2024

Rechte, rassistische und antisemitische Gewalttaten sind nach wie vor ein Problem, das sich in der gesamten Breite des Landes zeigt. Auch 2024 gab es keinen Landkreis, in dem nicht mindestens vier Vorfälle registriert wurden. Die meisten Angriffe stellte ZEBRA im Landkreis Pinneberg und den Städten Kiel und Lübeck fest. 

Entwicklung der Anzahl der Angriffe im Kreis Stormarn 2020–2024

Im Landkreis Stormarn wurden mehr als doppelt so viele Gewalttaten wie im Vorjahr registriert (2023: 8; 2024: 18). Entgegen der landesweiten Entwicklung richtete sich hier mehr als die Hälfte aller Angriffe gegen politische Gegner*innen. 

TATMOTIVE IN DEN LANDKREISEN 2024

Dies erklärt ein Blick nach Bargteheide. In der Kleinstadt registrierte ZEBRA ein Drittel aller Gewalttaten des Kreises, alle waren gegen politische Gegner*innen gerichtet.

„Dem erneuten Anstieg rechter Gewalt müssen alle demokratischen Kräfte in Politik und Gesellschaft endlich konsequent und entschlossen entgegentreten. Denn wo rechtsextreme Positionen in immer größeren Teilen unseres Systems Fuß fassen, erhöht sich zwangsläufig das Potential für gewaltsame Angriffe.“

Jan Kürschner (MdL, Bündnis 90/Die Grünen)

Hier deutet sich eine Entwicklung an, die in anderen Bundesländern schon weiter fortgeschritten ist: Die Folgen eines rechten Hegemoniestrebens im ländlichen Raum. Ein Kampf, der von Rechten immer wieder auch  durch Gewalt auf der Straße geführt wird. Für die Betroffenen vor Ort bedeutet das häufig, sich im Alltag unsicher zu fühlen, alternative Freizeitgestaltungen einzuschränken oder  ihr politisches Engagement zu überdenken. Das hat zur Folge, dass  demokratische Zivilgesellschaft und Infrastruktur für nichtrechte Jugendliche sukzessive zurückgedrängt wird und die extreme Rechte anfängt ganze Sozialräume zu dominieren.

Es braucht klare politische Signale, dass eine solche Bedrohungslage durch die extreme Rechte auch im ländlichen Raum nicht akzeptabel ist. Betroffenen und alle Engagierten, die sich für eine lebendige Demokratie und gegen die extreme Rechte einsetzen, dürfen nicht alleine gelassen werden.

ENTWICKLUNG RASSISTISCHE ANGRIFFE
2020–2024

Seit Beginn des Jahres 2017 wird von ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe ein systematisches und unabhängiges Monitoring durchgeführt. Es basiert auf den Kriterien des VBRG – Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Demnach liegen den Zahlen direkte Kontakte mit den Betroffenen oder aber externe vertrauenswürdige Quellen zugrunde. Die daraus resultierende Statistik beinhaltet Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, Bedrohungen und Nötigungen, sowie massive Sachbeschädigungen, denen eine politisch rechte, rassistische oder antisemitische Motivation zugrunde liegt. 

 

Die Statistik von ZEBRA wird mit den Daten des Landeskriminalamtes abgeglichen. Erfahrungsgemäß könnte es in den kommenden Monaten noch zu Nachmeldungen von Taten kommen, die im Jahr 2024 begangen wurde.

Trotz dieser Vorgehensweise ist von einem großen Dunkelfeld auszugehen, weshalb es weiterer Anstrengung bedarf, dieses bestmöglich zu erhellen und Betroffene zu unterstützen.

Die Pressemitteilung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA sowie des Ministeriums für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor*in bzw. tragen die Autor*innen die Verantwortung.