Zivilgesellschaft unter Druck!

Gemeinsame Pressemitteilung von LIDA-SH, RBT SH, ZEBRA

In ganz Schleswig-Holstein nimmt der Druck auf zivilgesellschaftliche Akteur*innen weiter zu. So stellen sowohl die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Angriffe ZEBRA, die Dokumentationsstelle für Antisemitismus LIDA-SH, als auch die Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus, einen alarmierenden Anstieg an extrem rechten Vorfällen und Beratungsanfragen von Engagierten und Betroffenen fest.

Bereits Mitte August erreichte die Beratungsstelle ZEBRA – Zentrum für Betroffene rechter Angriffe die Anzahl der Beratungsfälle des gesamten Jahres 2023. Seit Jahresbeginn war ZEBRA in 86 Fällen tätig und hat 128 Betroffene (darunter 13 Kinder und Jugendliche) beraten, was einen deutlichen Anstieg an Betroffenen darstellt. Wie in den Vorjahren sind die meisten Taten Körperverletzungsdelikte, Rassismus bleibt das häufigste Tatmotiv. Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe sind Botschaftstaten, deren Wirkung über die direkt Betroffenen hinausreicht und für Besorgnis bei vielen weiteren Menschen der Betroffenengruppen sorgt. Die hohe Fallauslastung stellt auch für die Beratungsstelle eine enorme Herausforderung dar.

Felix Fischer, Berater bei ZEBRA, nimmt zudem eine erschreckende Entwicklung wahr: „In den letzten Monaten schildern uns Betroffene rechter Angriffe zunehmend eine Bezugnahme der Täter*innen auf die AfD. Im Zuge von rassistischen Angriffen fielen Aussagen wie ‚Wenn die AfD kommt, seid ihr weg‘ und auch die Enthüllungen der CORRECTIV-Recherche lösen bei vielen Betroffene Ängste und Wut aus.“

Wie sich das Erstarken der AfD auf rechte Angriffe in Schleswig-Holstein auswirkt, zeigt ein Fall aus dem Juni. Ein Flüchtlingsbeauftragter erhielt am Abend der Europawahl, bei der die AfD die zweitmeisten Stimmen erhalten hatte, zwei anonyme Drohanrufe. In diesen wurde er mit den Worten „Wir sind so stark geworden, dass wir solche Volksverräter wie dich jetzt kriegen werden“ und „Wir werden dich jetzt jagen gehen“ bedroht.

Der Betroffene schlug daraufhin ein Treffen vor, woraufhin die Stimme antwortete: „So ein Treffen möchtest Du nicht erleben”. Bereits zuvor hatte der Flüchtlingsbeauftragte auf Grund seiner Arbeit regelmäßig beleidigende Mails erhalten.

Die Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus Schleswig-Holstein haben den AWO Landesverband und die Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein e.V. (RBT SH) als Träger. Sie beraten und stärken Personen, Institutionen und zivilgesellschaftliche Initiativen im Umgang mit Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die RBTs SH stellen im ersten Halbjahr 2024 eine Verdoppelung von Anfragen fest. Dabei fällt insbesondere auf, dass besonders die Fälle drastisch zugenommen haben, in denen es um geschlossene, rechtsextreme Weltbilder, z.B. im Kontext Schule, geht. Die Berater*innen der RBT SH konstatieren: „Die Zustimmung zur AfD und menschenverachtenden, antidemokratischen Positionen nimmt angesichts weitreichender Einbindung der Partei in rechtsextreme Strukturen weiter zu. Zivilgesellschaftlich engagierte Personen und von ihnen ausgehende Initiativen sind lokal einem zunehmend verunsichernden und bedrohlichen Klima ausgesetzt. Auch im Kontext Schule zeigt sich, dass klar rechtsextreme Äußerungen immer häufiger auftreten und mitunter unwidersprochen im Raum stehen“.

Auch die Dokumentationsstelle LIDA-SH muss zum Halbjahr einen absoluten Höchststand von Meldungen antisemitischer Vorfälle verzeichnen. Im ersten Halbjahr gingen bei LIDA-SH durchschnittlich drei Mal so viele Vorfälle ein, wie im Vorjahreszeitraum. Dazu erklärt Joshua Vogel, Leiter von LIDA-SH: „Die Reaktionen auf den Terror islamistischer Gruppen wie der Hamas seit dem 07.10.2023 und den sich anschließenden Krieg bestimmen weiterhin das von uns beobachtete Vorfallsgeschehen. Wir haben es hier mit globalen Kampagnen in den sozialen Medien zu tun, die verstärkt von Protestgeschehen vor Ort Möglichkeitsräume für antisemitische Artikulationen, insbesondere Hass auf Israel als jüdischen Staat schaffen.“ Vor allem für die jüdischen Communities bedeute dies ein zunehmendes Unsicherheitsgefühl. In diversen Vernetzungen zeigt sich, dass der Ukraine-Krieg die jüdischen Communities enorm beschäftigt. Viele Jüdinnen und Juden haben familiäre Beziehungen in die Ukraine. Seit Oktober bangen viele zudem um Angehörige in Israel. Doch nicht nur die Sorge um die Verwandten in den Kriegsgebieten belasten viele Jüdinnen und Juden.

„Das Wissen, dass es in dieser Gesellschaft einen nicht irrelevanten Teil an Menschen gibt, die den Terror der Hamas verherrlichen oder bzw. und die Deportationspläne der AfD begrüßen, sorgt für eine Art Grundangst, die die Bereitschaft vieler Mitglieder der Gemeinden als Jüdinnen und Juden am öffentlichen Leben teilzuhaben quasi auf null reduziert.“

Mit einer Entspannung der Situation ist in allen Beratungs- und Dokumentationsstellen in den nächsten Monaten nicht zu rechnen. Gerade vor dem Hintergrund der anstehenden Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg und den zu befürchtenden hohen Ergebnissen der AfD ist damit zu rechnen, dass sich Rechte auch in Schleswig-Holstein weiter bestärkt fühlen, ihre menschenverachtende Ideologie weiter zu verbreiten und gewaltsam durchzusetzen.

Für Rückfragen zu dieser Pressemitteilung wenden Sie sich bitte an Felix Fischer (0176/70938206, fischer@zebraev.de) oder Lasse von Bargen (0431/26068-73, vonbargen@akjs-sh.de).

Die Veröffentlichung stellt keine Meinungsäußerung des BMFSFJ bzw. des BAFzA, sowie des Ministeriums für Inneres, Kommunales, Wohnen und Sport des Landes Schleswig-Holstein und des Landesdemokratiezentrums dar. Für inhaltliche Aussagen trägt der oder die Autor:in bzw. tragen die Autor:innen die Verantwortung.

LIDA-SH wird im Rahmen des Landesprogramms zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung gefördert. Das Programm wird über das Landesdemokratiezentrum und den Landespräventionsrat koordiniert und umgesetzt.

ZEBRA und die RBT SH werden von dem Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ und dem Landesprogramm zur Demokratieförderung und Rechtsextremismusbekämpfung über das Landesdemokratiezentrum beim Landespräventionsrat Schleswig-Holstein gefördert.