Rechte Gewalttaten bleiben im Bundesland auf einem konstant hohen Niveau, stellt das Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (ZEBRA) im Monitoring-Bericht für 2021 fest. Die Hemmschwelle rechtsmotivierter Täter:innen sei zudem niedrigschwellig, auch gegenüber Kindern. Und die Zahlen zeigen: rechte Gewalt ist nicht bloß ein „ostdeutsches Phänomen“.
Die Zahlen sind kein Grund zur Freude: Am gestrigen Nachmittag, 28. April 2022, stellte das Zentrum für Betroffene rechter Angriffe (ZEBRA) die Ergebnisse ihres landesweiten Monitorings „Rechter Gewalttaten in Schleswig-Holstein“ für das Jahr 2021 vor. Rechte Gewalttaten bleiben auf einem konstant hohen Niveau, auch die Verteilung der Tatmotive bleibt etwa gleich.
Insgesamt wurden 77 Tatbestände gezählt, darunter 72 Prozent Körperverletzung, 19 Prozent massive Sachbeschädigung und sechs Prozent Nötigung oder Bedrohung. Insgesamt sind 148 Menschen von rechten Gewalttaten betroffen. Die Tatmotivation wird in dem Monitoring von ZEBRA in Rassismus, Antisemitismus und „Politische Gegner:innen“ aufgeteilt. Rassismus bleibt wie auch in den vergangenen Jahren das größte Tatmotiv mit einer Mehrheit von 61 Prozent der Fälle. Antisemitismus bildete bei vier Prozent und die Einordnung als „Politische Gegner:innen“ bei 35 Prozent der erfassten Fälle das Tatmotiv.
Die Mehrheit der Betroffenen, 64 Prozent, sind männlich. Weibliche Betroffene machen 29 Prozent aus, die restlichen sieben Prozent bleiben unbekannt. Bei 31 Prozent der betroffenen Personen handelt es sich um Kinder (bis 13 Jahre) oder Jugendliche (bis 18 Jahre). ZEBRA-Projektleiterin Annika Vajen betont bezüglich Angriffen auf Kinder und Jugendliche die niedrige Hemmschwelle von rechten Täter:innen. So ereignete sich beispielsweise im Juli 2021 in Lübeck ein rassistisch motivierter Angriff zweier organisierter Neonazis auf eine Familie. Mehrere Familienmitglieder, darunter auch Kinder, wurden von den Angreifenden durch den Einsatz von Pfefferspray verletzt.
Im Vergleich zu den Vorjahren bleiben die erfassten Gewalttaten in Schleswig-Holstein nicht nur auf einem konstant hohen Niveau (2020: 79 Taten, 153 Betroffene, 2019: 57 Taten, 113 Betroffene), sondern zeigen sich auf flächendeckend im gesamten Bundesland. Zwar können vereinzelte Schwerpunkte in städtischen Ballungsräumen wie Kiel, Lübeck, Neumünster, Flensburg und im Landkreis Segeberg festgestellt werden, doch es wurde in jedem Landkreis mindestens ein Vorfall registriert. Das vermehrte Vorkommen von rechten Gewalttaten Ballungsgebieten wird vom ZEBRA mit der erhöhten Dichte von Verletzungspartner:innen und passenden Multiplikatoren erklärt.
In Bezug auf die erhobenen Zahlen vor der Corona-Pandemie stellt das Monitoring von ZEBRA einen Anstieg der Gewalttaten im Wohnumfeld und im Umfeld von Demonstrationen fest. Im ersten und vierten Quartal des Jahres 2021 wurde eine doppelte Menge von Gewalttaten im Kontext von Demonstrationsgeschehen gegenüber vor-pandemischen Zahlen festgestellt. Welche Demonstrationen konkret betroffen waren, kann ZEBRA nicht angeben, dennoch räumte die Sprecherin ein, dass in diesen Zeiträumen vermehrt Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen stattgefunden haben. Diesen pandemiebedingten Anstiegen gegenüber sank die Anzahl rechter Gewalttaten am Arbeitsplatz, in Räumen politischer Organisation und öffentlich zugänglichen Räumen.
Es handle sich im Vergleich mit ostdeutschen Bundesländern, wo ein ähnliches Monitoring durchgeführt wird, um niedrige Zahlen, dennoch zeigen die Ergebnisse deutlich, dass „rechte Gewalt kein ostdeutsches Phänomen ist, sondern in der gesamten Bundesrepublik verankert ist“, unterstreicht Vajen. Darüber hinaus seien die erfassten Vorfälle lediglich die „Spitze des Eisbergs“, denn man müsse weiterhin von einem großen Dunkelfeld in Schleswig-Holstein ausgehen.
Das seit 2017 durchgeführte Monitoring von ZEBRA liegt den Kriterien des „Verband der Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“ (VBRG) zugrunde. Die kontinuierliche Sichtung und Dokumentation der Vorfälle in Schleswig-Holstein findet auf der Basis von Quellen wie Zeitungsberichten, Meldungen in den sozialen Medien, Pressemitteilungen von Ermittlungsbehörden und Hinweisen von Betroffenen oder Communitys statt. Erfasste Meldungen werden von ZEBRA recherchiert, weitere Quellen befragt und die Plausibilität der Einordnung so geprüft.
Die Statistik von ZEBRA wird zwar mit den Daten des LKAs abgeglichen, doch beim Vergleich der aktuellen Zahlen ergibt sich eine relativ große Differenz. Aus Angaben zu kleinen Anfragen von Landtagsabgeordneten zählt das LKA aktuell lediglich 37 Fälle rechter Gewalttaten. Es sei hierbei zwar erfahrungsgemäß nicht ausgeschlossen, dass diese Zahl noch steigt, doch die Differenz lässt sich dennoch damit zu erklären, dass nicht alle Vorfälle tatsächlich bei der Polizei angezeigt werden. Oftmals bestünden „viele Hemmschwellen für Betroffene“, erklärt Vajen. Vielfältige Gründe, wie beispielsweise schlechte Erfahrungen mit der Polizei oder die Angst vor Rache von Täter:innen verhindern oftmals eine Anzeige. Darüber hinaus stellt ZEBRA die Wahrnehmung der Betroffenen ins Zentrum ihrer Bewertung der Vorfälle: „Die Anerkennung einer politisch rechten Tatmotivation kann für die Betroffenen zentral für die Verarbeitung der Tat sein. Und nur wenn die Gesellschaft die politische Dimension solcher Taten anerkennt, kann sie sich auch mit den Betroffenen solidarisch zeigen“, betont Annika Vajen.